Vor etwa zwei Monaten ging ich mit Vincent, meinem dreijährigen Enkelsohn, in die Innenstadt, um eine Rassel für sein neugeborenes Brüderlein zu kaufen.
Als wir am Heimweg waren gestand mir Vincent: „Eigentlich wollte ich heute nicht so gerne mit dir mitkommen. Ich war müde und wollte viel lieber zu Hause bleiben und spielen. Aber jetzt bin ich doch froh, denn das war ein Abenteuer, das war phänomenal!“
An diesem Abend dachte ich über seine Worte nach, und wünschte mir noch viele gemeinsame Abenteuer.
Für viele Vorlieben eines Menschen wird der Grundstein in früher Jugend gelegt. Aus diesem Grund sitze ich jetzt hier um für Vincent, Fabian und hoffentlich viele Kinder dieser Welt diese Zeilen zu schreiben: um ihre Neugier und ihre Freude an den Dingen zu wecken, die uns – teilweise unbeachtet und selbstverständlich- umgeben, die aber von uns bewusst entdeckt werden wollen.
Meine Kindheit
Was ich mit all diesen kleinen Erzählungen zum Ausdruck bringen will: Das “Abenteuer“ begleitet ein Kind auf Schritt und Tritt. Was Kinder in ihr weiteres Leben mitnehmen sind die vielen Erinnerungen an Liebe und Schönheit.
Ich bin an einem Sonntag um 12 Uhr zu Mittag bei Fliegeralarm auf die Welt gekommen. „Die Kanzel“ ist ein Berg auf den zu diesem Zeitpunkt noch keine Straße hinaufführte, sondern man konnte sie nur mit „der Kanzelbahn“ erreichen. Zum Glück kam mein Vater rechtzeitig von der Sonntagsmesse zurück um gemeinsam mit Frau Nietsche, der Hebamme, meiner Mama bei meiner Geburt beizustehen.
Wenn ich mich an meine frühe Jugend zurückerinnere, so umgibt mich sofort der Duft von Nadelbäumen, Harz, Moos, Pilzen, Walderdbeeren und Pfefferminze. Ich sehe förmlich diesen „erhabenen“ Blick ins Tal (heißt die Kanzel deshalb so?) mit der herrlichen Aussicht auf den Mittagskogel, die Karawanken, auf Täler und Seen. Gleich hinter meinem Geburtshaus erstreckten sich Tannenwälder, Wiesen und Almen die in meiner frühen Jugend Ziel zahlreicher Entdeckungsreisen wurden. Selbst in den tiefen Wäldern fühlte ich mich geborgen und zu Hause. Ich kannte alle Plätze wo es Walderdbeeren, Himbeeren, Pilze und Schwarzbeeren gab. Von meinen Spaziergängen brachte ich Wiesenblumensträuße mit. Nach den furchtbaren Kriegsjahren war es eine Zeit, wo absolut alles ein Geschenk war, das man voll Dankbarkeit zu schätzen wusste. Wenn ich sonst nichts in meinen Taschen herbeischleppte, so zog ich zumindest – das hatte ich bei meiner Großmutter gesehen – einen großen abgestorben Ast nach, der dann in den Kachelöfen knisterte, duftete und eine so angenehme Wärme gab.
Alltäglichkeiten wurden zu unvergesslichen Erinnerungen:
Unser „Familienpfiff“ kündigte den Besuch meines geliebten Großvaters an: er kam den Weg herauf auf beiden Schultern je einen riesigen Karton, vollbeladen mit Früchten, Speck und vielen weiteren Köstlichkeiten. Es war pure Freude wenn er zu mir sagte: „Hallo Elis“.
Auf der Kanzel gab es auch ein elegantes „Berghotel“: Die Damen trugen am Abend lange Abendkleider und waren mit Schmuck behängt. Die Herren hatten ihre dunklen Anzüge an. Für meine Schwester und mich war es richtig aufregend einen Blick in den Speisesaal zu erhaschen, denn es war unser erster Kontakt mit „Reichtum“ und „dem großen Leben“.
Wir hatten ein wunderschönes altes Kasperltheater – so richtig mit Kulissen, Beleuchtung und zahlreichen Figuren. Mit meiner Schwester hatten wir die gute Idee in unserem Wohnzimmer eine Aufführung für die Urlaubsgäste zu arrangieren: natürlich mit Eintrittskarten und gegen Bezahlung. Also bastelten wir die Eintrittskarten, positionierten uns auf der Promenade vor dem Hotel der „Schönen und Reichen“, sprachen sie tapfer an und es dauerte nicht lange und wir hatten alle Karten verteilt. Es kam uns dabei natürlich zugute, dass man außer den langen Spaziergängen und den exklusiven Abendessen nicht sehr viel Abwechslung hatte.
Unser Wohnzimmer füllte sich allmählich mit unseren Gästen. Erst da realisierten wir, dass wir vor lauter Vorbereitung darauf vergessen hatten uns über eine Handlung unserer Aufführung Gedanken zu machen. Also schlug der Kasperl wild auf das Krokodil ein, die Hexe huschte vorbei, der Polizist versuchte vergeblich für Ordnung zu sorgen, der König wünschte sich einen Schwiegersohn für seine wunderschöne Tochter…… Unsere Darbietungen verbreiteten nachsichtige Belustigung und zum Glück forderte niemand sein Geld zurück!
In bester Erinnerung ist mir noch die „Müll-Rutsche“. Die Hausabfälle führten wir mit einem Leiterwagen zu einer Stelle, die etwa 10 Minuten von unserem Haus entfernt war: Dort gab es diese Müll-Rutsche, in ein steil abfallendes unwegsames Gelände und es war eine Freude zuzuhören wie die Abfälle auf diesem Gefälle hinunter donnerten.
Ein Platz hieß – nicht zu Unrecht – „Schöne Aussicht“. Wenn ich mit meiner Großmutter einen Abendspaziergang machte verband sie das sehr gerne mit ihren Atemübungen. Ich sehe sie vor mir mit ihrem langgezogenen BIIIII-JUU-CHUU-IIIIIII. Das war das gründliche Ausatmen! Dann füllte sie ihre Lungen mit dieser klaren Bergluft.
Ein Gewitter war in dem Holzhaus, mit den umliegenden Wäldern furchterregend. Wenn es so richtig blitzte und donnerte und unser Haus erbebte bekreuzigte sich meine Großmutter und betete zum heiligen Sankt Florian. Kinder schnappen ja sehr gerne die Dinge auf, die sie besser nicht lernen sollten. Immer wenn sie zum Hl. Florian betete stimmten wir ein mit „Heiliger Sankt Florian, du Wasserkübelmann, verschone unsere Häuser, zünd‘ andre lieber an!“ Was uns dabei so gut gefiel war natürlich nicht der Wunsch, dass andere Menschen Schaden erleiden. Es war der wundervolle Anblick meiner Großmutter die sich völlig schockiert gleich nochmals bekreuzigte. Meist war nach dieser Zeremonie das Gewitter schon nicht mehr so gruselig. Der Donner grollte schon in weiterer Entfernung.
Es war jedes Mal ein Erlebnis mit meiner Mutter einen Spaziergang zu machen. Sie erzählte von ihrem „Fräulein“, einem Kindermädchen, das ihr in ihrer Jugend die Namen aller Pflanzen und Blumen beibrachte. Es war faszinierend diese vielfältigen Namen zu hören und somit erwachte jede Wiese zu einem Ort „der Begegnung“, die Blumen waren ja nicht länger anonym, man kannte sie nun ja.
Ich erinnere mich an Ausflüge bei denen wir unseren Vater bettelten uns wieder kleine Pfeifen zu schnitzen. Dazu suchte er ganz besondere Zweige, höhlte sie kunstvoll mit seinem Taschenmesser aus. Ich weiß leider nicht wie er das machte, aber plötzlich war diese kleine Kostbarkeit fertig.
Mit Schulbeginn verbrachten wir nur mehr unsere Ferien in Kärnten. Wir wohnten ja in Wien.
Ich war sieben Jahre alt, als ich meiner um 2 Jahre älteren Schwester mit meiner schönsten Schrift ins Stammbuch schrieb:
Wie die wilde Ros im Wald
Blühe Mädchen blühe!
Ach die Sorgen kommen bald
Und der Kummer frühe.
Blüh‘ noch weht der Morgenwind
Blühe, blühe, glücklich Kind.